Samstag, 30. Mai 2009

Puke und die Zaubermaus (1997)

Eines schönen Tages, in einem heißen Sommer, kauerte Puke in den Ästen einer Weide die sich sanft in einer Brise wog und blinzelte müde und zufrieden in die hellen Sonnenstrahlen. Kleine Koboldschweißperlen rannen ihm über die grüne Stirn und flossen ihm brennend in die schelmisch funkelnden Koboldaugen.

Aber Puke bemerkte von all dem nichts. Er hatte, kaum war er aus seinem Nickerchen erwacht, in dem er wiedereinmal von Oggi geträumt hatte, seinen Blick durchs Geäst schweifen lassen und etwas erspäht, daß ihn viel zu sehr faszinierte, als sich von den alltäglichen Dingen ablenken zu lassen. Nicht einmal von der Vorfreude auf die zu erwartende heiße Liebesnacht mit Oggi.

In nicht allzuweiter Entfernung von ihm, weiter unten im kurzen Gras saß eine Zaubermaus! Puke war sich absolut sicher das dies eine Zaubermaus war, obwohl er noch nie zuvor eine Zaubermaus gesehen hatte. Aber in seinen Träumen hatte sie immer genau so ausgesehen. Dennoch war er mehr als nur verwundert, denn...

Holm

Eigentlich hatte Puke gedacht das Zaubermäuse nur eine Erfindung des alten Holm gewesen wären. Denn der hatte in der Koboldschule immer und immer wieder von ihnen erzählt ohne seinen Schülern jemals eine Zaubermaus gezeigt zu haben. Aber jetzt wo Puke die Zaubermaus erblickte, fuhr es wie ein Blitz durch seinen Kopf und Puke fühlte sich ganz leicht und beschwingt. Sein kleines Koboldherz pochte, viel schneller als bei bei den Träumen in denen Oggi sämtliche weiblichen Hauptrollen spielte.

``Und wenn Euch in eurem Leben eine Zaubermaus begegnet'', hatte der alte Holm gesagt, ``so fangt sie und haltet sie bloß gut fest! Sie taucht immer nur einmal in einem Koboldleben auf und die rund 800 Jahre, die ihr am Ende eures Koboldlebens ohne weiteres auf dem Buckel haben könnt, sind wahrlich keine pappenstiehl. Insbesondere werden euch die Jahre ohne eure Zaubermaus unendlich lang erscheinen.'' Aber die kleinen Kobolde hatten nur gelacht und das ganze als eines der für den alten Holm typischen Hirngespinnste abgetan und waren lieber zum Tütenrutschen gegangen.

Daran mußte Puke nun denken, als er sich zunächst einmal unsichtbar machte und von dem Weidenzweig herabsprang auf dem er vorhin noch bauchlings gelegen hatte. Seine feinen Flügel entfalteten sich und langsam, wie ein Kolibri der den Nektar aus einer Blume trinkt, ließ er sich vom Wind in Richtung Zaubermaus treiben. Schließlich erreichte er den Boden und den Grassfleck auf dem sie saß. Puke sah, daß die Zaubermaus weinte. Er erschrak darüber so sehr das er auf der Stelle sichtbar wurde...

Zauber

Die Zaubermaus sah auf und lächelte den Kobold mit ihren unendlich großen dunklen, haselnußbraunen Augen an. Puke versuchte sein Mißgeschick wieder wett zu machen und sich wie üblich in die Unsichtbarkeit zu flüchten, aber-es klappte einfach nicht!

Verflixt, verhext und zugenäht, dachte Puke. Und ging in Gedanken nocheinmal das gesamte Kapitel zum Thema Unsichtbarkeit aus dem großen Almanach für kleine Kobolde durch. Nichts der darin enthaltenen Tips und Tricks schien zu funktionieren. Er schloß die Augen und konzentrierte sich--Wieder nichts! Er blieb sichtbar! Puke beschloß einfach das Problem später zu lösen und grinste die Zaubermaus unsicher an.

``Warum weinst du?'' fragte er auf geratewohl hinaus, nur um wenigstens irgendetwas zu tun und nicht nur dumm in der Gegend herumzustehen und die Zaubermaus anzuglotzen. Puke kam sich ohnehin reichlich dämlich vor, aber er erinnerte sich auch das der alte Holm auch noch gesagt hatte, daß die Nähe einer Zaubermaus sehr viele merkwürdige Dinge verursachen könnte. Wenn er dem alten Holm doch nur öfter zugehört hätte! Vielleicht wüßte er dann was nun zu tun sei.

Schnupfen

``Ya-, ya-, yagechiiiihh'', machte die Zaubermaus und schneuzte in ihr kleines rosa Taschentuch, das sie flink aus ihrer Handtasche zog.

``Gesundheit, liebe Zaubermaus'', sagte Puke automatisch, schon weil ihm nichts anderes einfiel.

``Dankeschön'', sagte die Zaubermaus wohlerzogen. ``Du kannst sicher sein, daß ich wirklich gesund bin. Auch wenn ich mir auf dieser feuchten Wiese wohl doch einen Schnupfen geholt habe.''

``Na zum Glück ist es nichts ernsthaftes'', grinste Puke und lächelte keck, ``sagst Du mir trotzdem, wieso Du vorhin geweint hast?''

Anspruch und Wirklichkeit

``Ich weine weil mich die Menschen immer wieder aufs neue enttäuschen'', sagte die Zaubermaus mit sanfter Stimme.

``Wie meinst Du das?'' fragte Puke neugierig.

``Nun, sie sagen mir das sie das eine tun, meinen aber etwas ganz anderes. Oder sie halten sich einfach nicht an unsere Verabredungen. Ich kann ihnen ein Versprechen abnehmen, aber es ist sinnlos. Menschen scheinen keine Loyalität zu kennen, schon gar nicht Zaubermäusen gegenüber'', sagte die Zaubermaus traurig.

``Wenn ich dir einen Tip geben darf'', sagte Puke nun merklich sicherer, denn unter den Kobolden waren seine Ansichten zu lebensphilosohischen Fragen mehr als nur anerkannt.

``Erwarte immer nur das von einem Menschen, was Du von ihm erwarten kannst-NICHT das was Du von dir selbst erwarten würdest-sonst tun dir zu viele Menschen weh. Die einen absichtlich, weil sie deine Erwartungen nicht erfüllen wollen und die anderen unabsichtlich, weil sie deine Erwartungen einfach nicht erfüllen können.

Ich würde jemandem zunächst immer zu gute halten, das er zu letzterer Kategorie zählt, um dann bei Wiederholung nachzuforschen, ob derjenige eventuell doch zu erster Kategorie gehört.

Der Anspruch den Menschen an sich selber haben und die aus ihrem Verhalten resultierende Wirklichkeit liegen leider oft sehr weit auseinander.''

Flüchtling

``Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit sind sehr rare Güter auf dieser Welt-nicht nur in unserer Phantasiewelt. Es gibt hier nur sehr wenige die das können was du kannst-nämlich einen Vertrauensvorschuß gewähren und auf Loyalität hoffen. Das ist heutzutage eigentlich nicht mehr üblich'', sagte Puke.

``Du solltest den Kopf darum nicht hängen lassen-Du bist nunmal nicht der einzige der einfach ohne zu überlegen so handelt wie er eben ist-andere tun das auch. Und das, was man für sich selbst in Anspruch nimmt, sollte man auch allen anderen zugestehen. Denn ebendiese anderen gehen ohnehin davon aus... das ist die Crux in dieser Welt. Handeln ohne die Folgen zu bedenken.

Du kannst ihnen nur Vergeben oder Fortgehen. Aber wohin Du auch immer gehen wirst, dort werden dieselben Menschen sein, wie hier. Es werden dieselben Dinge geschehen. Und Deine Flucht wird weitergehen. Ad nauseam, bis in alle Ewigkeit...''

Geben und Nehmen

''Seitdem die Kremerseelen in den Menschen regieren und jedes Tun auf der Frage basiert, was man denn nun als Gegenleistung für ebendieses Tun erhalten wird, ist das Leben kompliziert geworden,'' fuhr Puke fort der jetzt ganz in seinem Element war.

``Es hat jedoch wenig Sinn darüber in Verzweifung zu geraten. Die Zen-Mönche sagen, das der Schmerz in den Menschen dadurch hervorgerufen wird, daß ebendiese Menschen die sie umgebende Wirklichkeit nicht anerkennen und wahrhaben wollen. Wer sich der Realität verweigert wird untergehen und von innen heraus sterben.''

``Aber warum ist das Leben der Menschen so grausam?'' fragte die Zaubermaus erschreckt.

Vergeben und Vergessen

``Aber nein!'' sagte Puke. ``Das Leben an sich ist total unkompliziert. Im Grunde ist unser Leben sogar sehr einfach, es wird nur unerträglich kompliziert indem man nur an sich selber denkt. Wenn man aufhört an sich selbst zu denken und sich fragt, wie man anderen helfen kann, wird das Leben vollkommen einfach.

Leider stammt diese Erkenntnis nicht von mir'', sagte Puke und grinste verlegen. ``Sie stammt von einem Menschensohn aus einem kleinen Dorf namens Nazareth.''

``Das wichtigste ist zu lernen auch den Schmerz, den dir die Menschen zufügen denen Du vertraut hast, zu vergessen und mit der Tatsache fertig zu werden das dieser Schmerz unausweichlich ist. Das dauert sehr lange und hat mich viele Jahre meines Koboldlebens gekostet. Aber es lohnt sich! Lerne zu vergeben und lerne zu vergessen.

Denn wenn man etwas kann, das niemand sonst kann - oder nur sehr, sehr wenige andere können'', sagte Puke, ``läßt die Erkenntnis darüber deine Seele schweben und nichts tut dir mehr weh-''

Nachdenken

``Puh...'' sagte die Zaubermaus und klimperte mit ihren unendlich langen Wimpern. ``Ich schätze darüber werde ich eine Weile nachdenken müßen.''

``Nimm' dir die Zeit'', sagte Puke und zwinkerte ihr zu. ``Es gibt nur ganz wenige Dinge die so sinnvoll sind wie das Nachdenken.''




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